Das Dilemma der KKE
Von Patrik Köbele, stellv. Vorsitzender der DKP
Als ich 2006 einen Artikel zum Thema »Kommunisten und Parlamentarismus« (1) veröffentlichte, schien eine Regierungsbeteiligung von kommunistischen Parteien in Europa – nach der Niederlage des Sozialismus – eine rein theoretische Frage. Es war nicht zu erwarten, dass sie bald wieder aktuell werden würde. Dementsprechend kurz ging ich damals darauf ein:
»Eine Beteiligung von Revolutionären an bürgerlichen Regierungen verbietet sich in fast allen Phasen zwingend. Immer würden sie gezwungen sein, Zugeständnisse an das Abwälzen der Lasten der kapitalistischen Krise auf die Menschen zu machen. Immer würden sie zum linken Feigenblatt für imperialistische Politik und Kahlschlag werden. (…) Ausnahmen sehe ich dabei in folgenden Situationen:
- Vorrevolutionäre Situationen mit starken außerparlamentarischen Bewegungen und Kämpfen und einem Kräfteverhältnis, das zu Gunsten der Ausgebeuteten kippt oder zumindest relativ ausgeglichen ist.
- Situationen, in denen eine Regierungsbeteiligung nötig ist, um autoritäre, faschistische Regierungen oder imperialistische Kriege zu verhindern.
- Bei Regierungen, die im Ergebnis der Befreiung von autoritären oder faschistischen Regimes entstehen und in Phasen, in denen Wege zu antifaschistisch-demokratischen Phasen möglich scheinen.
- Wenn eine Regierungsbeteiligung selbst dem Aufschwung von Kämpfen der Klasse, der Stärkung der außerparlamentarischen Bewegung dient, da sie zum Beispiel das Selbstbewusstsein der Kämpfenden erhöht.
- Wenn eine Regierungsbeteiligung der Veränderung des Kräfteverhältnis im übernationalen Maßstab nutzt (sie zum Beispiel dem Schutz sozialistischer Länder durch die Neutralisierung von Gegenkräften dient).
Dies ist immer wieder zu kontrollieren. Wird die Beteiligung an Regierungen zum Hemmschuh, dient man als linkes Feigenblatt für bürgerliche Politik. Soll man gezwungen werden, Angriffe gegen die Interessen der Klasse mitzutragen, muss die Regierung verlassen werden. Mögliche Ausnahmen können die Verhinderung von Faschismus und imperialistischen Kriegen sein. Die Entscheidung darüber darf keinesfalls den Fraktionen bzw. Parlamentariern überlassen werden.
Entscheidend ist, dass auch in Phasen der Regierungsbeteiligung Revolutionäre und Kommunisten versuchen müssen, das Entstehen von Illusionen bei den Ausgebeuteten zu verhindern. Es gilt selbst in diesen Situationen, den Charakter solcher Regierungen und der bürgerlichen Parlamente immer wieder zu entlarven und darauf zu verweisen, dass dort letztlich auch nur dann etwas „herausgeholt” werden kann, wenn die Ausgebeuteten für ihre eigenen Interessen kämpfen.«
Ich konnte nicht ahnen, dass sich nur sechs Jahre später die Frage für eine Bruderpartei der DKP, die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE), stellen würde. Und dass dies den Streit in meiner eigenen Partei verschärfen könnte, ahnte ich genau so wenig.
Erinnerung an einige Selbstverständlichkeiten
Um den Kern der Auseinandersetzung zu erkennen und sie richtig führen zu können, ist es notwendig, einige Nebelwolken zu vertreiben.
- Das Verhältnis zwischen kommunistischen Parteien muss vom Geiste des proletarischen Internationalismus und der Solidarität bestimmt sein, was aber nicht Kritiklosigkeit bedeutet. Die Debatte muss auf der Grundübereinstimmung in wesentlichen weltanschaulichen Fragen basieren (Weltanschauung der Ideen von Marx, Engels und Lenin, Anerkennung der Arbeiterklasse als revolutionärem Subjekt, Notwendigkeit des revolutionären Bruchs hin zum Sozialismus als zwingender Vorstufe der klassenlosen Gesellschaft, Anerkennung des realen Sozialismus als größter Errungenschaft der Arbeiterklasse).
- Es ist richtig und notwendig, die Diskussion auch über Fragen der Bündnis- und Aktionseinheitspolitik zu führen. Dabei aber nationale Unterschiede zu übersehen oder der Schwesterpartei und ihren Mitgliedern nicht zuzuhören, wenn sie die Ausgangspunkte für Analysen und Strategien in ihrem Land schildern, ist genauso falsch wie wechselseitig die eigenen Analysen und Schlussfolgerungen auf die Bedingungen des anderen Landes übertragen zu wollen.
- Regierungsbeteiligung ist NICHT gleichzusetzen mit Aktionseinheits- und Bündnispolitik. Sie kann bestenfalls in bestimmten Phasen deren Ergebnis und gleichzeitig ein Instrument sein.
- Die Aktionseinheitspolitik im Rahmen der Arbeiterklasse ist für Kommunisten ein Teil ihrer Strategie, um die Mehrheit der Arbeiterklasse zu erobern, insbesondere die sozialdemokratischen Arbeiter zu gewinnen – also für die Formierung der Klasse von einer Klasse an sich zu einer Klasse für sich, das heißt die Schaffung von Klassenbewusstsein und sozialistischem Klassenbewusstsein.
- Bündnispolitik umfasst darüber hinaus andere Klassen und Schichten, wie vor allem das Kleinbürgertum. Das Ziel der Kommunisten ist dabei auch, die Bündnispartner von der Notwendigkeit des Bruchs mit der kapitalistischen Ausbeuterordnung zu überzeugen. (2)
Einschätzung der politischen Möglichkeiten in Griechenland
Wie ist, nach dieser Betonung von Selbstverständlichkeiten, die Situation in Griechenland, der Ausgang der Wahlen sowie das Verhalten unserer Schwesterpartei zu bewerten?
In Griechenland besteht (noch) keine revolutionäre Situation, das zeigt nicht zuletzt das Wahlergebnis. Dennoch ist die Gefahr eines Militärputsches (wie 1967) sicherlich nicht zu unterschätzen. Ob eine Regierungsbeteiligung dem notwendigen Aufschwung von Massenkämpfen der außerparlamentarischen Bewegung gedient hätte, scheint mir abwegig. Denn das Wahlergebnis von ND, PASOK aber auch von SYRIZA zeigt ja vor allem die Hoffnung auf einen parlamentarischen Ausweg. Wenn alle anderen Parteien außer der KKE Versprechungen für ihr künftiges Verhalten in der Regierung machen – die auch, selbst mit dem besten Willen, nicht zu halten wären – kann eine ungeschminkte Analyse der Lage nicht viele Anhänger bringen. Denn die Konsequenz heißt nicht bequemes Abwarten, wie die Regierung handeln wird, sondern verschärfter Klassenkampf.
Selbst wenn eine gemeinsame Regierung von SYRIZA und KKE als heutige Form einer Art »Volksfrontregierung« zu betrachten wäre, würde die Realisierung an der Frage des gemeinsamen Regierungsprogramms scheitern.
Syriza hatte vorgeschlagen, eine Regierung solle auf der Grundlage eines Fünf-Punkte-Plans arbeiten. Dieser Fünf-Punkte-Plan beinhaltete den Verbleib Griechenlands in der Eurozone, die Kündigung aller Austeritätsverträge mit der EU, der Troika und der EZB, die staatliche Kontrolle über alle Banken, die Rücknahme aller Lohnkürzungen und Einschränkungen des Tarifrechts. Dieser Plan ist mit und in der EU nicht zu machen, und die KKE bezeichnet ihn deshalb zu Recht als illusorisch. Er ist aber andererseits nicht weitgehend genug, weil er den radikalen Schuldenschnitt scheut. Abgesehen vom Verbleib Griechenlands in der Eurozone ließen sich die genannten Forderungen nur durchsetzen, wenn die Allmacht der Monopole gebrochen würde. Genau dies lässt aber dieser Plan nicht zu, da er den Verbleib in der EU und der NATO beinhaltet. Deshalb war keine programmatische Grundlage für ein gemeinsames Regierungsprogramm gegeben. Eine Regierungsbeteiligung der KKE hätte für sie viel eher ähnliche Folgen gehabt, wie sie die französischen und italienischen Kommunisten in der Vergangenheit erlebt haben, bis hin zu einem Absinken in die Bedeutungslosigkeit.
Und die Verluste der KKE? Ja, die KKE hat massive Verluste erlitten, ihr Stimmenanteil hat sich fast halbiert. Er hat sich fast halbiert, weil die KKE GRUNDSÄTZLICH das Richtige sagt, aber erst eine Minderheit das bewusstseinsmäßig akzeptieren kann. Genau dem darf aber eine kommunistische Partei nicht nachgeben, da sie sich sonst opportunistisch verhielte. Dass die griechische Partei diese Linie durchhält, davor habe ich Hochachtung. (3)
Das riesige Dilemma, vor dem die griechische Arbeiterklasse und damit auch die kommunistische Partei stehen, ist doch das Problem, dass objektiv der Aufstand auf der Tagesordnung steht und subjektiv die Arbeiterklasse (noch) nicht bereit dazu ist. Jetzt das Bewusstsein der Klasse auf illusionäre Auswege zu lenken, ist falsch. Umgekehrt werden die Teile der Klasse, die ganz offensichtlich noch Hoffnungen auf solche Auswege haben, nur dann sich für grundsätzliche Alternativen öffnen, wenn sie für gemeinsame Abwehrkämpfe gewonnen werden können.
Die Befürwortung einer Regierungsbeteiligung in Griechenland, die es auch in der DKP gibt, scheint mir deshalb nicht nur in einem Verkennen der griechischen Situation begründet zu sein. Wahrscheinlich wird sie auch von Illusionen in den bürgerlichen Parlamentarismus genährt.
(1) T & P 3/2006
(2) Die alten Begriffe Einheitsfront- und Volksfrontpolitik drücken den Unterschied deutlicher aus.
(3) Die Behauptung, die KKE gebe den Sozialismus als Tageslosung aus, stimmt übrigens nicht. Sie hat zwar kein Minimalprogramm, aber doch konkrete Vorschläge zum Widerstand gegen die Abwälzung der Krisenlasten auf die Arbeiterklasse und die anderen Werktätigen, „sowohl für die Verteidigung der Rechte der Arbeiter und des Volkes sowie der demokratischen Rechte, als auch für die Befriedigung der dringendsten Bedürfnisse des Volkes, jedoch erklären wir öffentlich, dass unter kapitalistischen Bedingungen jeder Erfolg, den das werktätige Volk erringen mag, ohne die Eroberung der Arbeiter- und Volksmacht temporär ist.“ (Elisseos Vagenas – Mitglied des ZK und Verantwortlich für die Internationale Abteilung des ZK der KKE, im Interview mit der türkischen Zeitung „Evensel)
Entnommen mit freundlicher Genehmigung der Zeitschrift »Theorie & Praxis«